Kasaschstan ist im Jahr 2005 unser Ziel. Leider hat unser altersschwacher Nissan

nicht immer mitgespielt und wir sind des öfteren in der Steppe "gestrandet".

04.05.05

Auf geht’s! Dieses Jahr ist irgendwie anders...erst mal fahren wir ungewohnter Weise Richtung OSTEN und nicht gen Süden und außerdem haben wir dieses Jahr so viele spannende Projekte, daß die Urlaubsvorbereitungen irgendwie nebenbei liefen. Kurz vor Abreise haben wir bei ebay unser Traumhaus gefunden. Spontan haben wir uns entschlossen und gerade haben wir Sache sozusagen „unter Dach und Fach“ gebracht und haben bis zuletzt überlegt, ob wir trotzdem noch fahren sollten. Aber da Jochen wie immer bereits kurz nach unserem letzten Urlaub mit der Planung für ´05 angefangen hat, wäre es ja auch irgendwie blöd gewesen, das alles sausen zu lassen. Renovieren können wir auch nach dem Urlaub. Unsere Pässe mit den notwendigen Visa sind erst gestern per Nachtkurier und damit genau in letzter Sekunde angekommen. Normalerweise wäre Jochen angesichts solch knapper Geschichten die Wände hochgegangen. Dieses Jahr war es eher so „ Hmm...fein, hat ja doch noch geklappt...“.

Noch was ist anders...Engelchen!! Unsere „neue, alte“ Dame, der Panzer, das Wohnklo! Unser 23 Jahre altes Schätzchen, 5 Jahre stillgelegt und eins der Projekte des letzten Jahres. Engelchen stand abgemeldet irgendwo im Wald im Brandenburgischen und wurde zum Holz holen von einem Künstler benutzt, der eben dieses Holz dann in Kunstwerke umgewandelt hat. Wir haben das Engelchen bei ebay ersteigert und komplett überholen lassen und ausgebaut. Engelchen ist ein Nissan Patrol mit Alukofferaufbau. Sonderanfertigung! An Bord haben wir nach monatelangem Umbau jetzt so nützliche Dinge wie Bett, KLO, Dusche, Kochnische und Kühlschrank! Premiere für uns. Keine Schmierlappenhotels sondern immer alles anbei. Das soll unsere Reisekasse entlasten. Und geländegängig natürlich. Ein geländegängiges Wohnklo! Jetzt muß es nur noch durchhalten...

Unser erster Urlaubstag beginnt wie immer. Jochen steht als erster auf und bereitet Frühstück, während ich noch ein wenig ausschlafe. Jochen will unbedingt in Deutschland alle Autobahnen meiden. Also geht’s ziemlich unspektakulär über Deutschlands Landstraßen gen Osten. Wir erreichen gegen frühen Abend die polnische Grenze bei Kostrzyn. Eine europäische Grenze wohlgemerkt. Und natürlich werden alle durch gewinkt, nur wir nicht. Unsere Pässe werden in den PC eingehackt, sowohl auf deutscher als auch auf polnischer Seite. Und Herr Polizist polnisch muß auch noch seine Nase in unser Wohnzimmer und ins Badezimmer stecken, um zu kontrollieren, daß wir auch ja keine Illegalen anbei haben. Die Schlange hinter uns wird länger...

Am Abend suchen wir nach einem Übernachtungsplätzchen und finden auf dem Weg einen einsamen Campingplatz, auf dem wir ganz legal unser Engelchen parken.

Es regnet schon den ganzen Tag wie aus Eimern. Die Ecken über der Fahrerkabine sind schon ziemlich naß geworden. Das Klappdach unseres Engelchens besteht aus einer ziemlich durchlöcherten Persenning, trotz unseres grenzenlosen Vertrauens in unseren Schatz beschließen wir, es wie zuhause zu machen...das Schlafzimmer bleibt zu und wir schlafen auf dem Sofa. Ich auf unserer Sitzbank und Jochen auf dem Boden vor der Bank. Zum Abendessen ne Linsensuppe aus der Dose (mutig..) und Schlafen....

07.05.05

Gestern sind wir schon um 6.00 Uhr wach, bis man alles so zusammen hat, Kaffee getrunken und überhaupt, ist es auch schon wieder 8.00. Wir fahren los, gen Osten, was sonst. Auffällig ist in Polen, je weiter östlich man kommt, desto unkaputter und aufgeräumter sieht es aus. Seltsam, man sollte meinen, es sei genau andersherum. Irgendwo auf dem Weg, nach ca. 20mal „Ich muß mal!!“ meinerseits, blinkt die Füllanzeige unseres Chemieklos dunkelrot (Auf gar keinen Fall mehr benutzten, sonst wird es ekelig...). Ich soll das Klo ja benutzten, sagt Jochen, genau dafür haben wir es ja. Damit er nicht alle 20min zum Pinkeln anhalten muß. Und es wird benutzt, koste es was es wolle! Bei Fahrt auf Hubbelstraße fühlt man sich wie in einer Boing 737 bei Mega-Turbulenzen, aber es geht!

Wie dem auch sei, irgendwann ist der Fäkalientank voll. Nach diversen Anfragen auf Campingplätzen und Hotels (Äh, dürfen wir hier unser Chemieklo ausleeren...?) denken wir für einen Moment darüber nach, die Pampe in die „Pampa“ zu kippen. Wir verlassen die Hauptstraße, biegen in irgendeinen Feldweg ein, fahren durch die größten Schlamm- und Modderpfützen des Jahrtausends, bedecken Engelchen mit einer 5cm dicken Schlammschicht, nur um dann festzustellen, daß wir doch keine Umweltsäue sind, und es nicht fertigbringen...die Plörre landet letztendlich in einem Tankstellenklo.

Schließlich hat Jochen extra das Bio-Zeugs mit dem „Blauen Umweltengel weil unschädlich für Klärwerke“ gekauft. Der aufgeweichte Feldweg jedenfalls hat Engelchen endlich zu einer standesgemäßen Dreckschicht verholfen.

Ist schon seltsam, wie man mit so einem Gefährt verschmilzt. Wir müssen es ja kaum verlassen. Ich habe es glaube ich seit unserer Abfahrt nie weiter als in einem Radius von 10m verlassen....

Nun ja, die Fahrt durch Polen ist nicht weiter spannend. Abends finden wir wieder durch Zufall einen Campingplatz, ein Luxusteil für 38 Zloty. Also einfach ein bezahlter Parkplatz, mehr brauchen wir ja nicht. Wir schlafen bei aufgeklapptem Dach, auch wenn es immer noch in Strömen gießt..

Heute morgen sind wir und die Persenning trocken. Erstaunlich!

Wir machen uns auf den Weg zur Grenze. Wir erwarten einen 10stündigen Budenzauber, zumindest beschreibt das so das Auswärtige Amt. Und wieder nichts!! An der Grenze kurz Pässe zeigen, kurz ins Büro- was wollte ihr hier? – und fertig. Ca. 30min kostet uns diese Grenze...auf dem Rückweg wird es aber sicher schlimmer, wenn man sich die Schlange auf der anderen Seite anschaut.

Ein kleines Problemchen taucht allerdings auf: auf unseren Einreisekarten haben wir als Reiseziel „Kasachstan“ angegeben – das macht uns leider zum Transitreisenden. Jochen muß kurz mit ins Büro, man gibt uns 5 Tage für die Durchreise und auch der Ausreise-Grenzübergang wird festgelegt. Hätten wir „Camping Kiev“ oder etwas Ähnliches eingetragen, wäre uns das erspart geblieben und wir hätten 1 Monat Zeit bekommen. Naja – nächstes Mal sind wir schlauer...

Die Ukraine ist wie erwartet. Etwa wie Rumänien. Kaputte Straßen, kleine Krämerläden, Mütterchen, die ihre Kuh spazieren führt und Väterchen, der seine Kuh spazieren führt. Und von wegen unfreundlich! Alle lachen sich kaputt, wenn sie Engelchen sehen.

Ab jetzt ist alles in kyrillischer Schrift ausgeschildert, dies ist allerdings mit Hilfe der Buchstabentabelle in unsrem Wörterbuch kein Problem. Nach einigen Leseübungen brauchen wir die dann auch nicht mehr...

Wir fahren über L´Vov - ein Beinahe-Moloch- Richtung Kiew – ein richtiger Moloch. Irgendwo ca. 200km vor Kiew schlagen wir uns in Ermangelung eines Campingplatzes auf einen dieser bewachten TIR-Parkplätze. Für 2,50EUR dürfen wir hier nächtigen. Sogar Duschen und Klos gibt es hier, aber weder Jochen noch ich haben ein besonderes Bedürfnis, diese auch nur mal aus reiner Neugier mal auszuprobieren. Alle 2min rollt hier ein Truck auf den Parkplatz, das wird bestimmt eine ruhige Nacht. Der Parkplatzwächter mußte unbedingt noch ein Blick in Engelchen schmeißen, auch ins Klo und ich glaube, er war beeindruckt!!

Insgesamt sind diese LKW-Parkplätze durchaus mit Campingplätzen vergleichbar. Ein riesen Vorteil: es gibt sie entlang der Hauptrouten überall, sie sind sicher (weil bewacht, meisten schleicht Nachts ein Riesenköter um die Autos), sie sind billig (1,50EUR-2EUR/Nacht) und sie haben besagte Einrichtungen wie WC und Dusche. Aber die haben wir ja selbst an Bord ;-)

08.05.05

Nach einer nicht so schlechten Nacht auf dem TIR-Parkplatz ist Jochen um 5.45Uhr wach. Ich hatte etwas Angst, ob der LKW der hinter uns irgendwann Nachts auf den Parkplatz einrangierte unser dunkel lackiertes Engelchen wohl sieht. Das wäre weniger spaßig, wenn uns einer von hinten genau auf Höhe unserer Schlafplätze rammt...wir fahren nach einem leckeren Frühstück los. Wie immer gibt es Brot, Kaffe und den noch von zu Hause mitgebrachten Schinken, wir sind Selbstversorger geworden. Wenn das so weitergeht, wird das unser billigster Urlaub. Wir waren noch nicht einmal Essen und noch nicht einmal duschen. Gewaschen wird sich mit kaltem Wasser aus unserer „Dusche“ und wenn es ganz schlimm kommt, mit einer PET-Flasche voll angewärmten warmen Wasser vom Spiritus-Kocher. Ich konnte mir sogar schon Haare waschen. Bei Jochen ist das leicht mit seinem rasierten Kopf...

Wir fahren also los. Der erste Tag ohne Regen! Es ist alles sehr grün, und würde man sich die Schlaglöcher und Dörfer und Mütterchen und Väterchen und die Kühe an der Leine wegdenken, dann ist das hier wie in Deutschland. Schon ziemlich ermüdet bin ich, als Jochen plötzlich diesen hektischen Blick bekommt und angestrengt in den Rückspiegel stiert und auf die Bremse geht. „Was ist denn???“ frage ich. Hektischer Blick – keine Antwort...Bremse...das kann ich nicht ab! Ich will eine Antwort! „WAS IST????“ wieder keine Antwort. wir halten, Jochen springt raus, hechtet ums Auto. Unser Werkzeug- Schapp am Heck hängt auf halb acht, quasi nur noch auf einer Niete und heraus gucken diverse Werkzeuge und noch viel schlimmer – unsere Chemieflüssigkeit!! Nicht auszudenken, wenn die sich auf die Straße ergossen hätte. Das hätte Engelchen auf einen Schlag zu einem Wohnklo ohne Klo verwandelt. Aber alles ist noch gut. Das Schapp wird mit Zurrgurten provisorisch wieder befestigt. Erst mal weiterfahren. Wir geraten mal wieder in eine Polizeikontrolle. Es ist sonnenklar, daß wir raus gewunken werden, während alle anderen weiterfahren dürfen. Diesmal ist Herr Polizist besonders beeindruckt. „Can this car swim??“ – Ja, aber nur einmal...auf dem Weg macht Jochen den Scheibenwischer an, warum weiß ich bis jetzt nicht, die Sonne scheint....wie dem auch sei, es tut sich nichts. Das Ding ist kaputt. Ein kurzer Versuch, das Problem auf einer Tankstelle zu lösen scheitert. Alle Sicherungen und Kabel scheinen ok.

Wir halten an einer TIR-Werkstatt. Unser Schapp-Problem ist schnell gelöst, paar Schrauben und gut ist.

Unser Scheibenwischerproblem können die auch nicht lösen. Offensichtlich braucht so etwas erst mal ein paar Tankstellenstopps. Beim Übernächsten kann Jochen zumindest so weit ein Kabel überbrücken, daß wir wieder wischen können. Nur Intervall geht nicht, aber wer braucht schon Intervall?

Auf dem Weg kaufen wir Gnubsch-Wurst und Eier und es gibt Spiegelei mit Gnubschwurst zu Mittag.

Weiter geht’s über Kiew. Ich muß fahren und es ist echt ein Moloch. Aber es gibt schlimmere Moloche und wir verfahren uns nur dreimal.

Am Abend finden wir einen netten TIR-Parkplatz, diesmal nicht mit großer Pfütze vor der Haustür, erledigen noch ein wenig carservice (Jochen versucht dem Quietschen unsere Tür beizukommen, was uns echt wahnsinnig macht) und trinken unser obligatorisches Gute-Nacht-Bierchen – oder auch zwei.

09.05.05

Weiter Richtung Russland. Den Namen der „Ausreisegrenze“ hatte die nette Frau Grenzoffizierin bei der Einreise in lateinischen Lettern auf einen Schmierzettel geschrieben. Hier und nur hier dürfen wir als Transitreisende ausreisen. Leider hat Sie das Ihrem Kollegen am Computer nicht mitgeteilt und dieser hat einen anderen Ausreiseort in unsere Pässe gestempelt. Gab natürlich ein Heidentrara bei der Ausreise. Man verlangt von uns, 400km zurückzufahren und den anderen Übergang zu benutzen. Jochen weigert sich... Man könne natürlich eine Strafe von ca. 650 Griwna pro Person (ca. 110EUR) zahlen, dann ginge das schon. Jochen weigert sich...

Die dritte Möglichkeit, die der Grenzer Jochen vorschlägt ist eine, „die nicht so ganz dem Gesetz entspricht“.

Normalerweise hassen wir es, Bestechungsgelder zu zahlen. Schließlich sollte man Korruption nicht unterstützen, dieses wirkt sich auch immer nachteilig auf nachfolgende Reisende aus. Immerhin wird in der Ukraine seit der Machtübernahme von Viktor Juschtschenko Korruption auf das Schärfste verfolgt - jeder Beamte trägt ein Schild mit seiner Dienstnummer und einer "Grenz-Hotline-Nummer" an der Jacke. Dieser hier hat sein Schild umgedreht...

Also, was tun? Einen Riesenaufstand veranstalten? Die Schlange hinter uns ist sowieso schon kilometerlang.

Zurückfahren? No way!

„Wieviel?“ fragt Jochen. „300 Griwna pro Person – also 600 Griwna“

„Zuviel“ sagt Jochen. „Sag mir wieviel es Dir wert ist“ sagt der Grenzer.

„Du zuerst“, sagt Jochen

„Wir sind hier doch nicht auf dem Markt“

„Ich sag´s noch mal: Du zuerst!“

„Ok“, sagt der Grenzer, „laß es sein. Ich mach jetzt Eure Pässe klar und Du gehst zumAuto und holst das Geld. Leg es in den Pass, hier sind überall Kameras“

Der Grenzer stempelt die Pässe. Nochmal – jetzt Alarm machen? Die Gefahr, daß die eh alle unter einer Decke stecken ist groß...

Jochen geht zum Auto und legt 200 Griwna in den Pass. Für die „Geldübergabe“ sind die Jalousien der Grenzbude bereits zugezogen.

„So wenig?“, jammert unser „Freund“

„Mehr gibt es nicht“, sagt Jochen – die Pässe sind schließlich schon fertig.

„Nur 10 EUR noch“

„Vergiß es!“

Schließlich gibt der Typ auf. Was für ein A....

Dann die Russische Grenze. Eine dicke Mutti schreit uns in feldwebelhaften Ton zusammen, weil wir auf unseren Einreisekarten ein Feld vergessen haben auszufüllen. „Jaja, schon gut alter Besen“ sagt Jochen auf Deutsch. Schnell noch eine Russische Versicherung abschließen und auf geht es in das Russische Riesenreich.

Die Straßen sind hier etwas gepflegter als die Ukrainischen, nur halb soviel Schlaglöcher schütteln unser Engelchen durch. Eine Eigenart der Russen: sie wollen absolut nicht begreifen, daß es Menschen gibt, die kein Russisch sprechen. Sagt man „ne panimaje“ (ich verstehe nicht), dann wiederholen Sie das soeben gesagte – zuerst lauter, dann etwas langsamer. Englisch oder gar Deutsch spricht hier kaum jemand. Das „ne panimaje“ hilft übrigens prima bei den 1000 Polizeikontrollen im Land. Irgendwie ist denen eine weitere Kontrolle mangels Sprachkenntnis meist zu kompliziert und dann wünschen sie in der Regel schnell eine gute Weiterfahrt. Alles in allem sehr freundlich und höflich. Bisher haben sich die Horrorgeschichten, die wir von bestechlichen Russischen Polizisten gehört haben nicht bewahrheitet.

Am Abend suchen wir uns mal wieder einen LKW-Parkplatz. In Russland gibt es vor jeder größeren Stadt einen Polizeikontrollposten und dort in der Nähe oft einen bewachten Parkplatz mit Cafe. So einen haben wir gefunden – ein Abstellplatz für ausrangierte Omnibusse. Es ist wie in einem Museum – ca. 50 Busse aller Baujahre –von 50er Jahre Russen-Modell bis zum DDR-Ikarus. Nach dem Feierabendbier machen wir eine Fotosession zwischen den Bussen. Wir schlafen sehr gut, nur die Funkgeräte des Polizeipostens nerven ein wenig.

10.06.05

Der Tag beginnt mit „Fahrzeugservice“ wie Jochen es nennt. Jeden Morgen nach dem Frühstück werden alle Flüsssigkeitsstände kontrolliert und das Engelchen wird nach Schäden untersucht. Heute findet Jochen gleich zwei: ein Kabel ist abgerissen und die Dichtung an unserer Wasserpumpe ist undicht. Erstmal wird das Kabel geflickt. Leider bleibt für die Wasserpumpe keine Zeit mehr, da das Auto von einem Pulk Russen umringt wird, die solange nervige fragen zum Auto stellen (und Kaufangebote machen) bis Jochen entnervt das Werkzeug zusammenpackt und wir abfahren. Natürlich nicht, ohne dabei zu Lächeln...

Etappenziel ist Voronez. Bedingung für die Erteilung eines Visums für die Russische Förderation ist eine Einladung einer Russischen Agentur – eine sogenannte „Touristische Referenz“. Jeder Tourist muß sich binnen 72 Stunden nach Einreise bei der Ausländerbehörde „OVIR“ registrieren lassen, sonst gibt es Ärger.

Unsere „Einladung“ wurde von einer Agentur ausgesprochen, die u.a. ein Büro in Voronez hat, dieses besorgt dann die besagte Registrierung. Das soll also unser Tagesziel sein: ein weiterer Stempel in unseren Papieren. Leider ist alles, was wir an Informationen haben, eine Telefonnummer. In der Stadt angekommen, rufen wir dort an. „Do you speak English?“ „Njet!“

Na Prima! „Adress ?!?“ fragt Jochen und der Russe am andren Ende der Leitung gibt die Adresse des Büros durch. Jetzt noch schnell in kyrillischer Schrift auf einen Schmierzettel geschrieben und dann fragen wir uns durch die Großstadt. Dauert keine 45Minuten und wir haben das Büro. Ganz versteckt hinter einem Waffenladen, Eingang durch die Hintertür. Keiner spricht auch nur irgendeine Sprache außer Russisch. Wir radebrechen wie gehabt. Man ist etwas ratlos, wie man mit uns verfahren soll – normalerweise muss eine Hoteladresse angegeben werden. Einige Telefonate später einigen wir uns schließlich doch darauf, Engelchen als festen Wohnsitz anzugeben....

Wir bekommen einen Zettel, mit dem müssen wir zu einer Bank in der Nähe um eine Gebühr einzuzahlen. „Aber jetzt ist erst mal Mittag, kommt mal in zwei Stunden wieder“. Na gut – wir vertreiben uns die Zeit und suchen ein Internetcafe. Gar nicht so einfach. Schließlich haben wir Glück und finden eins. Eine halbe Stunde müssen wir Schlange stehen, dann können wir unsere Lage nach Hause kabeln. Ein Foto von mir und Lenin und zurück zum Visabüro. Wir treffen einen Schweitzer, der seit 10 Jahren in Voronez wohnt und arbeitet und zwei Mal im Jahr seine „Registrierung“ erneuern lassen muss. Er klingt ein wenig resigniert wegen des jedesmal riesigen bürokratischen Aufwands. Naja, wir sind jedenfalls fertig und können weiter. Es dauert noch eine gute Stunde, bis wir den Weg durch das Verkehrsgewühl gefunden haben und wir verlassen die Stadt. An einem Feldweg rasten wir, kochen ein Käffchen und jetzt bekommt auch unsere Wasserpumpe ein wenig Dichtmasse. Ein neues Problem bahnt sich an: unser Getriebe muckert ein wenig. Irgendwas ist ja immer...

Am Abend der gewohnte TIR-Parkplatz und mal wieder ein Feierabendbier. Wenn wir zurückkommen, kennen wir alle Sorten die der Osten zu bieten hat und sind vermutlich Alkoholiker.

11.06.05

Die Nacht ist ein wenig unruhig, weil alle 10min. ein Russe zum Tanken an unser TIR-Parking kommt und dann die Mutti in ihrer Bezahlzelle über einen Lautsprecher den Betrag und wahlweise noch das ein oder andere Geschimpfe über die späte Störung zum Besten gibt. Gegen Morgen torkelt noch ein Russe, der voll ist wie tausend Russen - hihi – vor das Häuschen und es entsteht ein wilder Disput mit der Tankdame – alles über Lautsprecher...und der Hund bellt dazu. Naja, das wars dann auch mit Schlafen. Wir machen uns auf den Weg Richtung Saratov. Unser Getriebe macht immer mehr Mucken. Wenn die Kiste warm wird, geht die Schaltung immer schwerer. Immer wenn an der Mittelkonsole unserer Fahrerkabiene eine bestimmte fühlbare Temperatur überschritten ist, dann läßt sich die Kiste nicht mehr vom 4. in den 3. Gang runter schalten. Wir beschließen, das einmal nachsehen zu lassen. Wir fahren in Saratov in die erste Automeile, die wir sehen und fragen nach Hilfe. Wir finden eine runtergekommene Autowerkstatt, in der man uns rät, daß Getriebeöl mal auszuwechseln. Gesagt, getan. Jochen springt bei dem Sohn des Mechanikers ins Auto, weil Getriebeöl hat man hier nicht vorrätig und es muß erst mal aus einem Getriebeöl-Laden geholt werden. Ich werde in der brütenden Hitze mit Meister Röhrich alleine gelassen. Meister Röhrich nötigt mich auch gleich, in seine Werkstatt-Höhle mitzukommen. Ich nestel noch ein bißchen am Auto rum, weil ich da eigentlich überhaupt keine Lust zu habe. „Nu komm mal, ist doch zu warm hier draußen“ meint Meister Röhrich. Ich bestehe darauf, erst noch das Auto abzuschließen. „Hier klaut doch keiner!“, faselt Meister Röhrich. Wer´s glaubt wird selig. In der Werkstatt muß ich mich an einen abgesägten Tisch auf ein altes Faß setzten und sogleich schnitzt Meister Röhrich aus einer alten Plastikflasche ein kunstvollen Gefäß, welches auch gleich mit Bier gefüllt wird. Fast zeitgleich steht der Vodka auf dem Tisch und ich werde genötigt, alles in einer angemessenen Geschwindigkeit herunter zu würgen. Es wird ganz lustig, wir unterhalten uns über das Leben in Rußland, Familie, Kinder und Ähnliches, soweit wir uns mit meinen paar Brocken Russisch, Tschechisch und Händen und Füßen unterhalten können. Als Jochen wiederkommt, bin ich total betrunken...Jochen muß sich auch setzen und schafft es, durch vehementes Wiederholen von „Danke, wirklich, wirklich nicht, ich muß noch Fahren!!“, das ihm aufgezwungene Bier zu verweigern. Aber ein bißchen Wurst und selbstgemachten Käse (das mitgebrachte Mittagessen von Meister Röhrich) muß er noch probieren. Meister Röhrich hat mittlerweile das 4. Bier alle...

Das Öl wird ausgewechselt. Zwischenzeitlich schaut eine Mitarbeiterin des Ladens hinein, die Nebenberuflich Deutsch an der Uni und in der Schule unterrichtet. Sie spricht ungefähr so gut Deutsch, wie wir Russisch. Ist schon erstaunlich...

Am Ende fragen wir Meister Röhrich, was er denn für den Öl-Wechsel haben will. Gar nichts, sagt er. Naja, das geht nu auch nicht, also drücken wir ihm ein paar Rubel in die Hand und er ist hocherfreut. Wir verabschieden uns mit großen Gesten und wie alte Freunde und verlassen die gastliche Werkstatt.

Nach dem Ölwechsel fahren wir weiter, verfransen uns hoffnungslos in Saratov. Jochen wird ziemlich unentspannt und mault rum. Wir stellen fest, daß der Ölwechsel genau gar nichts gebracht hat. Die Schaltung muckt immer noch genauso. Naja, im 4. Gang können wir weiterfahren und mit viel Gewürge hauen wir auch den 3. rein, wenn es notwendig wird, also was soll? Weiter Richtung Grenze nach Kasachstan. Die Grenze ist noch ca. 200km entfernt.

Auf dem Weg stellen wir immer wieder fest, dass wir mit unserm Engelchen eine riesen Attraktion sind. Die Menschen auf der Straße starren uns hinterher, meistens fangen sie breit an zu grinsen oder fangen an zu Lachen. An den Polizeikontrollen werden wir grundsätzlich angehalten, entweder die Polizisten stehen nur kopfschüttelnd vor Engelchen und vergessen fast, nach unseren Pässen zu fragen oder sie wollen unbedingt mal einen Blick rein werfen. Einer wollte sich gar die Schuhe erst ausziehen, bevor er die wertvolle Auslegeware unseres Engelchens betritt.

Ein weiteres Problem stellt sich ein auf dem Weg. Plötzlich während der Fahrt steht unsere Tankanzeige auf maximal Leer. Ich denke natürlich sofort, daß wir ein Leck in der Kraftstoffleitung haben und gehe auf die Bremse. Zum Glück pütschert es nirgendwo raus, es ist nur die Anzeige, die den Geist aufgegeben hat. Trotzdem nicht schön, angesichts der langen Strecken, die in Kasachstan nur aus Steppe bestehen - da ist eine funktionierende Anzeige schon essentiell. Aber nichts, was sofort repariert werden muß.

In Jarsow, einem kleinen Ort ca. 120 km vor der Kasachischen Grenze gibt unsere Schaltung endgültig den Geist auf – vorerst. Wir kommen mit Mühe und Not auf den Parkplatz eines kleinen Krämerladens, würgen die Gänge in die Kiste, es Kracht und Quietscht, und schließlich gehen die Gänge auch nicht mehr raus. Was jetzt?? Ich bin mal wieder ziemlich angespannt, wie immer in solchen Situationen und bekomme erst mal Kopfschmerzen. Jochen ruft den ADAC an...man kann es ja mal versuchen?? Erstaunlicherweise zeigt sich der ADAC geneigt, uns zu helfen. Die ADAC-Plus-Mitgliedschaft reicht auch bis Russland und es wird mir dem russischen Automobilclub zusammengearbeitet. Aber eher im Baltikum, so weit im Osten seien sie gerade erst dabei, etwas aufzubauen. Jochen bekommt eine Telefonnummer des Clubs – mit dem Hinweis, dass dort aber alle nur Russisch sprechen – und ein paar bedauernde Worte mit auf den Weg. Das ist ja schon mehr, als wir erwartet haben! Aber helfen konnten die uns letztendlich auch nicht.

Jochen geht in den Krämerladen, um nach einer Werkstatt zu fragen und kommt mit einem Russen raus, der zwar kein Wort Englisch spricht, dafür kann seine Frau aber sehr gut Englisch schreiben, nur sprechen traut sie sich nicht. Die Konversation verläuft also über Zettelchen und mit Händen und Füssen. Wir schildern unser Problem – der Russe springt in sein Auto und bedeutet uns, ihm zu folgen. Er bringt uns auf einen Parkplatz, lädt Jochen in sein Auto und sie machen sich auf den Weg, eine noch geöffnete Werkstat, bzw. einen Mechaniker im Feierabend zu finden. Ich soll am Auto warten, damit es nicht geklaut wird...und während ich so warte und überlege, ob Jochen wohl jemals wiederkommt und mindestens 100 Russen aus reiner Neugier um Engelchen rumcruisen und sich kaputtlachen, kommt ein Kleinbus angerast, hält mit quietschenden Reifen, heraus springt ein dunkel bebrillter Russe mit Schnäuzer und Shorts – in einer Hand ein Handy, in der anderen ne Kippe, trollt sich um das Auto, faselt was von „Germanski“(Deutsche) mit Problemski an ihrem Autski in sein Handyski und ignoriert mich dabei. Als er aufgelegt hat grinst er mich an und sagt in Englisch: „ can I help you??“ – sehr erfreulich, ein Englisch sprechender Russe! In dem Moment kommt auch Jochen mit unserem anderen Helfer und Helfersfrau zurück. Es wird diskutiert, mindestens 1000mal übers Handy telefoniert und organisiert. Schwupps, wird der hiesige Automechaniker beim Schwimmen am See aufgetrieben – hier hat echt jeder ein Handy der neusten Generation – und kommt schleunigst angefahren – in Shorts. Wieder Diskussion und schließlich will der Meister mal ne Probefahrt machen. Engelchen ist mittlerweile abgekühlt und es kommt, wie es kommen mußte. Die Gänge gehen rein wie Butter, kein Problem mehr, selbst nach halbstündiger Fahrt macht das Getriebe nicht mehr die geringsten Mucken. Alle sind irgendwie erfreut und haben diesen Man-seid-ihr-bescheuert-Blick drauf. Aber kein großes Gerede mehr, alle verabschieden sich total nett von uns, der Mechaniker meint noch, wenn ihr wieder Probleme bekommt, dann laßt das mal in Uralsk machen, das ist eine große Stadt, da kommen die eher an Ersatzteile und ein Russe bringt uns noch zu einem „Kafe“, das sind hier kombinierte 24-Stunden-Service-Essereien-und-Schlafereien, meist angebunden an eine Tankstelle und bewachten Parkplatz. Keine Hotels in dem Sinne, aber meistens mit einfachen Zimmern und in fast jeder Stadt und Dorf vorhanden. Wir nehmen uns heute mal ein Zimmer. Ich habe mittlerweile so starke Kopfschmerzen, daß mir Übel ist und kann erst mal nichts essen. Nachdem Jochen meine Borschscht mitessen muß, wirkt auch endlich das Paracetamol und ich kann auch noch ein wenig essen. Am Morgen versucht Jochen, wenigstens das Problem mit unsere Tankanzeige zu lösen, was sich leider als schwierig erweist, weil der Geber direkt über dem Tank liegt und da ist kein rankommen.

Wir fahren los - die Kupplung läßt sich leidlich bedienen und wir kommen heil zur Grenze. Die Ausreise aus Rußland und Einreise in Kasachstan gestalten sich problemlos, wir könne sogar eine Versicherung fürs Auto direkt an der Grenze kaufen. Wir beschließen, wenn wir in Uralsk ankommen, das Auto mal in einer Werkstatt grundüberholen zu lassen und uns selbst mal einen Tag Pause im Hotel zu gönnen. Laut Reiseführer gibt es zwei „akzeptable“ Hotels in Uralsk. Eine Schickimicki -4-Sterne-Absteige und ein 3 Sterne-„Otto-Normalverbraucher-Hotel“. Welches wir nehmen wollen, ist uns zu dem Zeitpunkt noch relativ egal. Wir erreichen Uralsk, und im ersten Kreisverkehr bekommt Jochen wieder diesen Blick, fährt rechts ran, läßt uns ausrollen und zieht schließlich die Handbremse und das Engelchen kommt mit einem Ruck zum stehen...was ist denn jetzt schon wieder??? „Die Bremse bremst nicht mehr...“ wie jetzt??? „Na die Bremse! Er bremst nicht mehr!!“ – wieso bremst unser Auto nicht mehr??? Und was jetzt??? Tja, keine Wahl, wir wollen ein Hotel erreichen, auf eigene Faust jetzt in eine Werkstatt, womöglich noch ohne Bremse hoffnungslos in der Stadt verfransen und überhaupt. Aber Hotel finden ist ja meist auch nicht so einfach...wir wollen das Schickimicki-Teil, weil wir da am ehesten auf englischsprechendes, hilfsbereites Personal hoffen können. Mit riesen Glück finden wir auf anhieb einen Wegweiser zum Hotel „Chagala“, müssen nur zweimal nachfragen und erreichen mit Warnblinklicht und einer Hand an der Handbremse heil das Hotel. Dort spricht man tatsächlich fließend Englisch und zeigt sich hilfsbereit. Der hauseigene Fahrer wird herbeigerufen, das Problem diskutiert und uns zugesichert, dass man sich Morgen kümmern werde. Heute ist eh Sonntag und Abend ist es auch (wir haben mal wieder eine Zeitzone verpaßt und unser Uhr noch nicht umgestellt). Wir nehmen ein prima Zimmer mit Klimaanlage und Fernseher, Essen und machen noch einen kleinen Stadtbummel. Die Stadt ist erstaunlich schön und aufgeräumt, malerische Fuzo, Park mit bunten Blumen, haufenweise Kneipen, Draussenesserein mit Live-Musik und viel Ambiente.

13.05.05

Nach einer sehr angenehmen und klimatisierten Nacht geht’s erst mal zum luxuriösen Frühstück mit allem, was das Herz begehrt. Die erste richtige Dusche außerhalb von Engelchen nach 8 Tagen war schon der Hammer, aber das hier ist nahezu dekadent. Pünktlich um 11.00 Uhr kommt der Fahrer des Hotels, um uns zu einer Werkstatt zu bringen. Da es ein Problem ist, für die große Karre einen Trailer zu bekommen, sollen wir also hinfahren. Wir sollen dem Fahrer folgen. Gesagt, getan. Wir schwitzen Blut und Wasser, der Puls auf 180, als wir uns durch das vormittägliche Gewühl der Großstadt quälen. Wieder mit Hand an der Handbremse und Warnblinklicht. Nebenbei stellen wir auch noch fest, daß zwar das Warnblinklicht funktioniert, der Blinker aber nicht mehr. Was soll denn noch alles kaputtgehen??? Wir erreichen zum Glück heil eine Nissan-Werkstatt, wo sich sogleich ein Pulk Menschen um unseren Nissan scharrt. Offenbar ist die Membran unseres Hauptbremszylinders kaputt. Vorrätig haben die so was für einen so alten Nissan nicht, geschweige denn, dass die so einen alten Nissan Patrol je zu Gesicht bekommen hätten. Die Werkstatt will versuchen, die Teile in der Stadt zu bekommen, evtl. auch aus anderen Landesteilen per Kurier. Wir fahren erst mal nach Einpacken aller wichtigen und teueren Gegenstände wieder zurück ins Hotel. Den Nachmittag wollen wir mit dem obligatorischen Behördengang verbringen: auch in Kasachstan muß sich jeder Ausländer innerhalb von 5 Tagen nach Ankunft bei der Migrationsbehörde registrieren lassen. „Lassen Sie das Ihre Reiseagentur erledigen“, warnt unser Reiseführer, “Sie sollten es nur selbst versuchen wenn sie einen Tag Zeit haben, Masochist sind oder eine Sozialstudie betreiben wollen...“. Nun ja, Reiseagentur haben wir nicht – also: rein ins Taxi, hin zur Behörde, durchgefragt, Formular ausgefüllt, Stempel und fertig. Keine 45Minuten hat das gedauert. Und der Herr Beamte hatte einen dermaßen zugemüllten Schreibtisch, dass er die Durchschrift unserer Registrierung im Zweifelsfall eh nicht wiederfinden würde. Am Abend gehen wir in der Fußgängerzone zu lauter Musik essen.

14.05.05

Da wir heute eh auf das Auto warten müssen, nutzen wir die Zeit für einen ausgiebigen Stadtbummel. Shopping in Uralsk, ja – das geht. Die Geldautomaten hier zeigen Musikvideos während sie auf potentielle Kunden warten. Wir probieren die Einkaufszentren der Stadt aus und ich kaufe mir eine neue Mütze. Das Sortiment der Supermärkte hier steht dem unserer in nichts nach – lediglich das Vodka-Regal ist dreimal so lang.

Am späten Nachmittag kommt dann der erlösende Anruf – das Auto ist fertig. Wir können es kaum glauben – nach nur einem Tag. Und nur 120EUR soll es kosten – für Kupplung UND Bremszylinder? Schnell ein Taxi, zur Bank und zur Werkstatt. Alles in Ordnung, sagt der Werkstattmeister. Jochen versucht ihm noch einmal zu erklären, daß unsere Kupplung nur dann nicht trennt, wenn die Karre warm ist. „Haben wir alles getestet“, sagt der Meister. Nun gut, die Karre bremst wieder. Bei der Tankanzeige konnten sie nichts machen, Geber kaputt. Naja, fahren wir halt nach Kilometerzähler. Und eins haben wir leider vergessen zu erwähnen – der Blinker geht nicht mehr seit der Fahrt mit dem Warnblinker an. Jochen will sich selber kümmern und wir fahren erst mal ins Hotel. Zumindest versuchen wir es – auf dem Weg dorthin lauern überall die Gesetzeshüter am Straßenrand. Vorzugsweise in den recht häufig vorkommenden 40er-Zonen und jeweils in einem älteren LADA und alle ausgestattet mit neuester Technik: Laserpistole, LCD-Videomonitor und Rekorder. Zwei dieser Polizeikontrollen stoppen uns und eine will Jochen verhaften, weil sein Führerschein im Hotel liegt. Nach langen diskutieren einigen sich Jochen und der Polizist: Jochen soll nur die „halbe Strafe“ von 1000Tenge (ca. 7EUR) zahlen – selbstverständlich mit Quittung – und man könne abends ja mal zusammen einen trinken gehen. Klar, Herr Wachmeister – alter Kumpel – nichts lieber als das. Abends im Hotel schaut Jochen noch kurz nach dem Blinker während ich ein wenig „klar Schiff“ im Auto mache. Es war nur die Sicherung – wir sind also abreisebereit.

15.06.05

Was für eine Nacht. Um halb zwölf wird plötzlich unsere Zimmertür aufgeschlossen und gleich wieder zugemacht. Ich sitze senkrecht im Bett. „Was soll sein“, murmelt Jochen, „da wird sich einer vom Personal in der Tür geirrt haben.“ Ich kann trotzdem den Rest der nacht kaum schlafen, während der Herr selig weiterschnarcht. Zur Sicherheit schiebe ich unseren Mülleimer vor die Tür, damit wir den Einbrecher beim nächsten Mal hören. Entsprechend unausgeschlafen beginne ich den Tag. Einräumen, Auschecken und ab vom Hof. Jetzt noch schnell ein wenig Wasser und Lebensmittel eingekauft und endlich kann es weitergehen. Denkste – alle 500m eine Polizeikontrolle – zielsicher werden immer wir heraus gewunken und neugierig befragt. Irgendwann hat Jochen die Schnauze voll: „piet (fünf) kilometer, piet kontroll – spinnt Ihr hier total?“. Der Polizist guckt etwas irritiert, will dann aber trotzdem noch mal einen Blick in unser „Mini-Dum“ (=Haus) werfen.

Und endlich kann es losgehen nach Aktobe – 470km durch die Steppe. Am Ortsausgang der letzten Ortschaft vor dem Nichts steht ein Englischsprachiges Schild: „Good Luck“. Wie die das wohl meinen?

Sehr schnell wird uns das klar: nach ca. 40km sehr guter Landstraße liegt plötzlich ein Haufen Erde auf der Straße – Baustelle. wir fahren auf eine schlechte und rüttelige Piste, die später extrem versandet ist und tiefe LKW-Spuren aufweist. Für Engelchen kein Problem, für PKWs (und einige wenige LADAs haben wir gesehen) eher nicht zu empfehlen.

Wir benötigen für die ersten 250km 8 Stunden, schlechteste und rüttelige Baustellenpiste wechselt sich ab mit der allerschlechtesten und rütteligsten Straße dieser Welt. Weitere 220km liegen vor uns und da – wie nicht anders zu erwarten war – auch unsere Kupplung wieder muckert , beschließen wir, es für heute gut sein zu lassen.

Wir verlassen die Straße, schlagen uns in die Steppe hinter einen Knick, klappen unser Dach auf, kochen uns eine Dose Ravioli und genießen den Sonnenuntergang in einem Schwarm von Mücken und Bremsen.

16.06.05

Der Tag beginnt damit, daß Engelchen nicht anspringen will. Die Starterbatterien sind leer. Wie das passieren konnte? Ganz einfach – wir hatten unseren Bordkühlschrank leichtsinnigerweise auf die „Eiswürfelbereitungs-Stufe“ geschaltet. Wir haben zwar Bord- und Starterbatteriekreise streng voneinander getrennt, auch ist der Spannungswandler für das Laden der Bordbatterie auf 20 Ampere strombegrenzt, aber diese 20 Ampere waren vermutlich zuviel für unsere Lichtmaschine. Ergebnis: 250 Gramm tiefgefrorene Butter und nicht genügend Ladung zum starten. Und das mutterseelenallein und mitten in der Steppe. Naja, muß halt das „Backup-System“ herhalten: Bordbatterie ausbauen, ein Starthilfekabel und schwupps läuft die Höhle wieder. Dafür wird die Piste immer schlechter. Engelchen ist von oben bis unten in eine dicke Staubschicht gehüllt. Wo Piste ist, da ist Sie tief und sanding und wo Straße ist, da besteht sie aus extrem tiefen Schlaglöchern. Wir reißen uns den Auspuff ab und einer der Kanisterhalter aus dem Daerr-Versand reißt in der Mitte durch. Jochen behebt die Schäden mit einem Stück Draht. Sand und Staub überall. Dazu das leidige Kupplungsproblem: es wird immer schlimmer.

Wenn wir das Auto anhalten und denken wir sind im Leerlauf dann ist urplötzlich ein Gang drin und die Karre ist aus. Natürlich haben die tiefentladenen Batterien bei der Geländefahrt keine Chance sich wieder aufzuladen und natürlich springt Engelchen dann nicht wieder an und das Batterieprozedere beginnt von vorne. Wir stehen im Nichts und der Rückwärtsgang geht nicht mehr raus. Wenn wir ihn mit lautem Krachen rausgewürgt haben, geht der Erste nicht mehr rein. Ist der erste Gang drin und wir müssen wieder Bremsen vor einem 3m tiefen Schlagloch, geht die Kiste aus...Und so weiter und so weiter. Das Batterieprozedere machen wir so fünf bis sechs mal durch bevor wir endlich die nächste Stadt – Aktobe – erreichen.

Wir sind völlig an Ende und analysieren unsere Lage. Wir haben für 460km 2 volle Tage gebraucht, unser nächstes Ziel in Kasachstan liegt über 1000km entfernt. Gehen wir zugunsten Kasachstans davon aus, daß nicht alle Straßen so miserabel sind – aber stressfrei und mit dem Gangschaltungsproblem kommen wir nicht weiter. Nicht bei unserem engen Zeitrahmen. Wir schauen auf unsere Karte – eine Straße führt ziemlich direkt nach Norden, in den Russischen Ort Orsk. Nur ein Grenzübergang ist nicht eingezeichnet. Der nächst eingezeichnete Grenzübergang, das heißt die nächste sichere Möglichkeit, aus diesem Land herauszukommen liegt ca. 1000km weiter östlich. Der selbe Weg zurück nach Uralsk kommt für uns nicht in Frage. Wir sind uns einig: Projekt Kasachstan erklären wir offiziell für beendet – lieber wollen wir uns noch etwas in Russland umsehen. Die Straße Richtung Orsk gibt uns leider recht – auch die ist eine Aneinanderreihung von Schlaglöchern. Ich bibbere und bete, daß wir die 160km nicht umsonst fahren und es am Ende doch keinen Grenzübergang gibt. Endlich erreichen wir den letzen Ort vor der Grenze, der praktisch kaum passierbar ist, was wir dort antreffen, verdient nicht mehr die Bezeichnung Schlaglöcher, es handelt sich eher um Schlagtäler....dahinter aber dann die Staatsgrenze und – oh Wunder es gibt einen Grenzübergang! Das Ganze gestaltet sich etwas mühselig, da wir das Auto nur ungern ausmachen wollen, wegen der Startprobleme. Aber oh Wunder, er startet jedesmal problemlos. Bei dieser Gelegenheit, praktisch im Niemandsland zwischen Kasachstan und Russland, finde ich heraus, wie wir das größte Problem unserer Gangschaltung, nämlich das Reinwürgen des ersten Ganges zum Anfahren relativ gut in den Griff kriegen. Wenn man den Allrad-Schalthebel auf „Neutral“ stellt, lässt sich der erste Gang einigermaßen mühelos einlegen, dann umschalten auf 4 High, oder 2 High und man kann losfahren. Bei Fahrt bekommen wir dann auch die weiteren Gänge mit viel Zwischengas irgendwie geschaltet. „Also doch wieder nach Kasachstan?“ beliebt Jochen zu scherzen...An der russischen Grenze müssen wir ziemlich lange warten, weil die immer nur ein Auto zur Zeit auf das gesamte Grenzgelände lassen und zudem ständig irgendwelche Schicki-Micki-Kasachen in BMW´s und Benz den Grenzer bestechen und sich vordrängeln. Wir sind ziemlich genervt, aber ausrichten können wir auch nicht viel. Die ganze Grenz-Prozedur gestaltet sich dann wieder schwierig, weil alle Formulare nur auf kyrillisch geschrieben sind. Irgendwie schaffen wir es dann. Natürlich nicht ohne das übliche Auseinandernehmen unseres Engelchens und den Blick ins Klo und das obligatorische Kopfschütteln und Grinsen der Zollbeamten.

Wie erhofft und erwartet bieten sich uns auf russischer Seite gute Straßen und wir kommen relativ problemlos nach Orsk. Wir sind nur mittlerweile völlig kaputt, weil wir schon 220km Rüttelpiste, insgesamt 18 Stunden Fahrt und einen nervtötenden Grenzübergang und mindestens 120 Polizeikontrollen hinter uns haben. Zudem haben wir ein böses psychisches Tief, weil uns die Ausreise aus Kasachstan wie eine Niederlage bzw. ein Aufgeben vorkommt. Wenn man doch einfach nur mehr Zeit hätte. Zeit, die Kupplung reparieren zu lassen, respektive so lange darauf beharren, dass irgendein verdammter Meister Röhrich stundenlang mit der Kiste durch die Gegend fährt, bis er weiß, was das Problem ist. Zeit, sich die Teile zuschicken zu lassen und Zeit, in Ruhe und gemächlich durch die Gegend zu fahren, egal wie schlecht die Straße ist. Man kommt ja prinzipiell überall hin und überall durch mit Engelchen, im Gelände ist es unschlagbar...

Also, in dieser Stimmung kommen wir in Orsk an, und es ist –wie sollte es anders sein- ein gottverdammter Moloch, nicht ausgeschildert und nicht zu überblicken. Wir benutzen wieder mal unseren Taxifahrer-Trick – das heißt, einem Taxifahrer klar machen, daß wir ein Hotel suchen und ihn dann einfach vorfahren lassen. Jochen spricht einen an und sagt ihm, daß wir ein „modernes Hotel“ möchten – er hofft auf Internetanschluß. Der Taxifahrer bringt uns zum wohl exklusivsten Hotel Russlands. Wir kommen erst mal gar nicht auf das Gelände drauf, weil da ein uniformierte Kleiderschrank mit Uzi vor der Einfahrt steht und die Macht hat, die Hoteleigene Ampel (!) auf Grün zu stellen und 50cm dicke Poller in den Boden zu fahren , die die Hoteleinfahrt versperren. Er ruft an der Rezeption an und wir dürfen zu Fuß zur Rezeption laufen. Das Hotel ist extrem nobel, Flügel in der Eingangshalle, alles wie geleckt und Kellner im Gehrock schreiten umher.

„N´Abend! Do you speak english?“ ist wie immer unsere Eröffnungsfrage.

Ja, es wird Englisch gesprochen – fein.

„Ein Zimmer wollen wir.“ Wir werden gemustert....Wir sind extrem verdreckt, stinken drei Meter gegen den Wind nach Diesel, Brennspiritus und Steppenstaub....“Nunja, wir sehen nicht immer so aus, aber wir kommen gerade aus Kasachstan...äh...und wir bräuchten eine Dusche und so....“

„Ja, also ein Zimmer kostet 4570Rubel.“ sagt die Dame an der Rezeption und rümpft etwas die Nase.

„ Wieviel ist denn das in Euro“ fragen wir. Die Dame tippt einige Zahlen in den Taschenrechner, grübelt, tippt, murmelt vor sich hin und sagt dann „Äh, that is 1350 Euro...“.

„Hmmmmmm, das ist aber teuer.“ sagen wir.

„Ach nee“ kichert die Dame „ das sind 135 Euro!“ Ok- ist ganz schön gepfeffert, aber wir sind einfach nur alle und wollen duschen und schlafen. „Wir nehmen es!“

Die Dame kuckt uns lange an, nestelt dann an ihrer Preisliste und schließlich „ Ach, sie wollen BEIDE hier einkehren? Ja, Entschuldigung, das ist dann etwas teurer. Das sind dann 5420 Rubel, also ca. 160 Euro...“

Äh??? „Wir nehmen es trotzdem...“ sagen wir.

„Ich kann Ihnen auch ein Zimmer in einem anderen Hotel besorgen!“ bietet uns die Dame an.

Langsam haben wir das Gefühl, die wollen uns hier nicht....Wir machen der Dame deutlich, daß wir das Zimmer aber gerne haben wollen und geben unsere Pässe ab. Voller Vorfreude laufen wir zum Auto, die Poller werden heruntergefahren, die Ampel schaltet auf Grün und wir dürfen das Hotelgelände mit unserem Engelchen beschmutzen, sammeln schnell die notwendigsten Sachen zusammen und begeben uns zurück zur Rezeption...

„Äh...“ sagt die Dame „...das Zimmer, das ich Ihnen geben wollte, ist leider noch nicht gereinigt, wir haben nur noch die „Prinz Igor –Suite“ frei, die kostet aber 200Euro....“

Jetzt platzt Jochen der Kragen, er faucht die Dame an, wie das denn nu wieder sein könne, und er wolle das Hotel schließlich nicht kaufen und es sei die Nacht sei ja eh schon fast vorbei und überhaupt. Die Dame lächelt ihr unermüdliches Lächeln und sagt nur „Tut mir leid, kann ich nichts machen, wie gesagt, in einem anderen Hotel bekommen sie sicherlich günstigere Zimmer...“.

Wir nehmen das Zimmer, nein die Suite, trotzdem. Angesichts meiner Müdigkeit tut mir das noch nicht mal besonders weh. Aus Trotz lege ich meine tiefschwarzen Füsse ungewaschen auf den Tisch – ätsch!

17.06.05

Wir schlafen in den strahlend weißen Betten unserer 2-Zimmer-Prinzen-Suite auch nicht anders als in Engelchen und morgens gibt es noch nicht mal ein Frühstücks-Buffet, wo man sich so lange nachholen kann, bis man satt ist. Ein Kellner im Gehrock hält mir die Frühstücks-Menue-Karte vor die Nase, ich darf die noch nicht mal selber anfassen. Ich bin verwirrt wähle irgendwas aus, was ich eigentlich gar nicht will und Jochen sagt, er wolle dasselbe, obwohl er das gar nicht will. Der Kellner verbeugt sich und eilt davon, der nächste kommt und legt uns mit einer gekonnten Handbewegung die Serviette in den Schoß...ich kann ja mit so was gar nicht um, und Jochen auch nicht...nach dem Frühstück begeben wir uns noch in den hauseigenen Computerraum zum Internet und verschwinden nach einem Engelchen-Check und -Aufräumen ziemlich schnell aus dem Hotel.

Jochen ist ziemlich unentspannt, weil er immer noch todmüde ist und mir geht es auch nicht viel besser. Zwei weitere Probleme vermiesen uns zusätzlich die Stimmung. Wir müssen uns noch irgendwo registrieren lassen, und wir erwarten, daß das wieder ein Riesenaufwand wir mit Verfransen in irgendeinem Moloch. Außerdem läuft unsere Russische KFZ-Versicherung am 23.05. ab und ein Versicherungsbüro zu finden dürfte ein noch viel größeres Verfransen und Durchfragen und „Nichtverstehe“ bedeuten. Das Beides zusammen bedeutet also eine mindestens ein- bis zweitägige Prozedur und ziemliches Generve. Wir fahren schlechtgelaunt Richtung Orenburg - wenigstens auf guter Straße - und überlegen, wie wir alles organisieren sollen.

Es ist Freitag, bis wir in Samara sind – das ist der nächste Ort, von dem wir glauben, daß wir dort die Registrierung und Versicherung erledigen können, liegt 500km weiter nordwestlich. Behörden und Büros haben morgen eh geschlossen. Wir beschließen, daß wir wohl einen Tag in Orenburg einfach mal ausschlafen und dann Sonntag nach Samara fahren, um Montag alles zu erledigen. In Orenburg der Taxitrick, wir werden zu einer „Gastinice“ gebracht (das heißt hier nicht einfach „Hotel“, wie in allen anderen Ländern dieser Welt, geschweige denn, daß hier auch nur irgend etwas in lateinischer Schrift dran steht!).

Eine einfache Unterkunft nach unserem Geschmack. Die Frau an der Rezeption bedeutet uns, daß wir 760 Rubel zahlen müssen plus 40 Rubel für die Registrierung - ... – Registrierung??? DIE Registrierung?? fragen wir die Frau. Das kann sie uns auch nicht beantworten, weil sie natürlich nur Russisch spricht, aber ja, 40Rubel für die Registrierung. Letztendlich finden wir irgendwie raus, daß Hotels ebenfalls eine Registrierung vornehmen können. Beim OVIR, der entsprechenden Behörde muß man sich nur dann selbst registrieren, wenn man bei einer Privatperson wohnt. Oder in Engelchen, allerdings dann länger als 72 Stunden an einem Ort.

Dieses Problem wäre also schon mal gelöst. Das weitere löst sich damit von selbst, weil wenn diese nervenaufreibende Prozedur wegfällt, können wir zügig weiter Richtung Moskau fahren, und könnten auch bis zum 23.05 – dem Ablaufdatum unsere Versicherung - das Land verlassen. Unsere Stimmung hebt sich schlagartig, und wir beschließen den Abend mit einem ausgedehnten Spaziergang und 1-2 Bierchen in einer urbanen Karaoke-Bar.

Bei dieser Gelegenheit fällt mir wieder auf, dass das Sprichwort „voll wie 1000 Russen“ nicht von ungefähr kommt. Die Russen saufen wirklich wie die Löcher. Viele sind schon morgens hackenstramm, Mittags würde ich schätzen sind 50% aller Russen besoffen und Abends 100%. Die meisten jungen Leute, die am Morgen und am Nachmittag durch die Gegend schlendern, schlendern eben mit einem Bier in der Hand herum. Abendes kommt dann der Wodka dazu. In der Karaoke-Bar sehen wir mindestens 4 Leute, die volltrunken mit dem Kopf auf die Tischplatte fallen und anfangen zu sabbern oder zu kotzen. Nebenbei läuft der Aufpasser – ein Nazi mit Gummiknüppel – umher und schaut, ob die Leute noch leben und rüttelt hin und wieder an ihnen. Hinter den Häusern liegt gleichmäßig über den Boden verteilt, der Mageninhalt derer, die es zum Kotzen wenigstens noch nach draußen geschafft haben. Und das ist an jedem Wochentag so, egal ob Arbeitstag oder Wochenende....

Eine Sozialstudie...

18.06.05

Wir schlafen gut in unserer Absteige, genießen zum Frühstück jeder 3 Spiegeleier, Knoblauchwurst, Schinken und Kassler – jaja, diese Sprachprobleme – und fahren weiter nach Samara. Wir sind gut gelaunt und kommen gut voran. Lediglich die Landschaft ist wenig abwechslungsreich. Viel, viel, viel plane Fläche mit riesigen Getreidefeldern. Die Polizeikontrollen sind ebenfalls wenig abwechslungsreich, wir werden wirklich bei JEDER heraus gewunken. Teilweise liegen diese Kontrollen nur 200m auseinander. Wir halten an, halten dem Herrn Wachtmeister schon ungefragt den Stapel Papiere (Pässe, internationale Führerscheine, Fahrzeugschein, Versicherung, Zollerklärung) entgegen, sagen „Wir kommen aus Kasachstan und fahren nach Hause nach Deutschland und im Auto haben wir nur Campingutensilien“ und warten auf weitere Fragen. Einige wollen einfach mal ins Auto reingucken, andere wollen wissen, was für ein Auto das ist und wieder andere wollen sich einfach nur mal ein wenig unterhalten. Die Polizisten sind wirklich durchweg extrem freundlich und nett, aber es nervt trotzdem kolossal. Nur einmal ist einer nicht so nett, als ich im Überholverbot überhole und Herr Polizist 100 Dollar ohne Quittung von uns haben will. Wir stellen uns total doof und machen auf „Wieso?? Was haben wir den getan?? Und was ist „STRAF!!“ ? Das verstehen wir nicht! Und überhaupt, wieso Dollar, wir sind hier in Russland! Rubel! Wir verstehen sowieso überhaupt rein gar nix!!“ Als wir vehement darauf bestehen, daß wir nichts getan haben und für unsere Strafe unbedingt eine Quittung haben wollen, kommen wir mit umgerechnet 14Euro – ohne Quittung – und einigen bösen Blicken seitens Herrn Polizisten davon...

Wir können Saratov - den Moloch – zum Glück auf eine Umgehungsstraße aus dem Wege gehen und fahren weiter Richtung Toliatti. Dort möchten wir die Volga überqueren. Möchten...aber irgendwas ist ja immer...am Ortseingang erzählt uns die obligatorische Ortseingangs-Polizeikontrolle (die uns natürlich raus gewunken hat), daß die Brücke über die Volga leider „unsicher“ sei. Ein Überqueren ist nicht erlaubt! Einsturzgefährdet??? Man sagt uns, wir müssten über Samara nach Süden, nach Saratov fahren und dann wieder hoch...Mal eben so...ca. 800km Umweg...klar, kein Problem...“DAS KANN DOCH NICHT ANGEHEN!!!“ regt sich Jochen auf. „SIND DIE DENN NICHT GANZ DICHT HIER???“. Wir fahren doch jetzt nicht nach Saratov!! „Oder Sie nehmen die Fähre, die fährt hier gleich um die Ecke – nur 20km von hier“ sagt der Polizist...Witzig! Der Fährableger ist relativ schnell gefunden, kostet umgerechnet ca. 8 Euro. Auf dem Fährgelände nervt mich ein russischer Nazi, ruft mir „Heil Hitler!“ hinterher und zeigt mir stolz ein tätowiertes Hakenkreuz auf seiner Wade. Ich drehe mich kommentarlos weg. Nazis scheint es hier ziemlich viele zu geben, das ist uns schon vorher aufgefallen. Wir haben noch Zeit für einen Döner und setzten dann an der breitesten Stelle der Volga (die spinnen, die Russen!) unser Engelchen in ca. einstündiger Fahrt auf einer uralten Fähre über den Fluß.

Drüben angekommen ist es schon recht spät, also suchen wir uns einen TIR-Parkplatz, klappen Engelchen auf und machen uns eine Dose Ravioli auf und schlafen.

19.05.05

In der Nacht fängt es an in Strömen zu regnen, unsere Persenning wird nass und morgens wache ich in einer Pfütze auf. Der Regen ist so stark, dass Engelchen an mehreren Stellen „Wassereinbruch“ hat. Der Regen hört den ganzen Tag nicht auf und der Tag verläuft rein wettertechnisch ziemlich trübe. Unsere Stimmung ist jedoch ungetrübt. Die Fahrt ist unspektakulär, lediglich die völlig bescheuerten und lebensmüden Überholmanöver der Russischen LKW-Fahrer und noch schlimmer, die der Russischen Halbstarken lassen alle paar Minuten unseren Adrenalinspiegel ansteigen. Es kommt hier durchaus vor, dass man in „zweiter Reihe“ beim Überholen überholt wird. Die Straßen haben meist keine Markierungslinien, bei starkem Regen sieht man kaum etwas und die Deppen überholen mit 150km/h - egal, ob etwas von vorne kommt oder nicht.

Auch das Tanken erweist sich heutige Tage als äußerst schwierig. An verschiedenen Tankstellen verweigert man uns den Diesel (man muß hier immer vor dem Tanken bezahlen), weil der Diesel „plocha“, also schlecht sei. Wir versuchen dem Tankmenschen klar zu machen, daß unsere Kiste auch mit Pommesfett fährt, aber sie bleiben stur und wir bekommen keinen Sprit, was uns etwas in Bedrängnis bringt. An der 3. Tanke klappt es aber schließlich doch noch.

Wir kommen relativ weit heute, bis ca. 180 km vor Moskau und schlafen wieder auf einem TIR-Parkplatz, diesmal unaufgeklappt, weil es immer noch gießt wie aus Eimern....

20.05.05

Wir fahren die letzten Kilometer nach Moskau. Moskau hat 3 Ring-Umgehungsstraßen und kilometerlange Vororte. Der Plan ist, uns in einem Vorort ein Hotel zu suchen, Engelchen stehen zu lassen und dann mit Öffis in die Stadt zu fahren. Auf gar keinen Fall wollen wir mit der Kiste in die City, Moskau soll verkehrstechnisch schlimmer sein, als alles, was wir bisher erlebt haben. Wir sind auch fest davon überzeugt, dass in einer internationalen Metropole wir Moskau Hotels auch als solche zu erkennen sind, wahrscheinlich sogar ausgeschildert?

PUSTEKUCHEN! Nicht ein einziges Schild, was nicht nur auf kyrillisch beschriftet ist, NICHT EINS!!

Wir fahren stur auf der Hauptstraße, welche aus südöstlicher Richtung genau ins Zentrum Moskaus trifft. Alle Straßen aus ganz Rußland treffen sternförmig in Moskau zusammen. Wir fahren durch die Vororte, suchen und suchen, fahnden hektisch nach Schildern, die auf ein Hotel hinweisen, biegen genau 2mal ab und schwupps, stehen wir mitten in einem monströsen Stau genau vorm Kreml. So was nenne ich wirklich zielsicheres Verfahren. Und so schnell wir in diesen Schlamassel geraten sind kommen wir natürlich nicht wieder raus. Das ganze wird extrem unübersichtlich, weil man nicht einfach abbiegen kann...man kann auch nicht eine ungefähre Richtung einschlagen...irgendwas ist in der Stadt los, wir werden von mehreren dunklen, wichtig aussehenden Limousinen mit Blaulicht überholt, welche noch wichtiger aussehende, noch dunklere Limousinen mit verdunkelten Fenstern begleiten. Macht Putin eine Ausfahrt??? Wie dem auch sei, zu diesem Zwecke sind mehrere große Straßen gesperrt, zumindest jeweils in eine Richtung. Überall stehen Horden von Polizisten, die irgendwie den Verkehr regeln, indem sie 10-spurige Straßen kurzfristig zu Einbahnstraßen machen, welche dann 20-spurig genutzt werden, während der Gegenverkehr warten muß (!). Da steht man dann eine halbe Stunde in einer riesigen Blechlawine, ohne daß irgendwas passiert, plötzlich wird die Straße freigegeben, alles jagt los, aber eben auch nur in eine bestimmte Richtung. Wie dem auch sei, wir schaffen es nach diversen Kreml-Umrundungen nach 2 Stunden dann irgendwie aus dem Zentrum raus in einen Vorort und verwenden den Taxi-Trick (in Moskau sehr schwierig, weil es hier so gut wie keine Taxis gibt, zumindest nicht überall) und werden zu einem Mittelklasse-Hotel ca. 5km vom Zentrum entfernt direkt bei einer Metro-Station gebracht. Nur die Rezeption macht gerade Mittagspause, also gehen wir erst mal was Essen.

Wir nehmen ein Zimmer für zwei Tage und fahren nach kurzer Ruhepause mit der Metro in die Stadt. Wir steigen relativ nah am Kreml aus und machen uns erst mal einen Überblick, kaufen einen Bildband über Moskau und gehen bei strömendem Regen etwas spazieren. Auf dem Rückweg wollen wir noch mal kurz ein wenig einkaufen. Duschgel, Schokolade und Bier aus dem Supermarkt. Gar nicht so einfach hier... Am Eingang zum Supermarkt werden einem erst mal alle Taschen, die über die Größe eines Portemonnaies hinausgehen in Plastiktüten verpackt und dann mit einem Klebeband „versiegelt“...damit man auch ja nichts in den Taschen verschwinden läßt. Der Weg zur Bierabteilung ist durch mehrere große Kühlschränke verbaut. Auf unsere Nachfrage heißt es „njet raboti“ – die Bierabteilung arbeitet heute nicht....na gut, dann eben Bier kaufen am Kiosk, denken wir uns. An einem Kiosk vorm Hotel sage ich „dwa ´baltika´, pajalsta“ (Zwei ´Baltika´, bitte) und deute auf die ca. 20 Baltika-Bier, welche im Regal stehen. „Pivo njet“, sagt der Mann...Wie Pivo njet, da stehen doch 20??? Nein, gibt es nicht, beharrt der Mann, wirft noch eine Erklärung hinterher, die wir nicht verstehen, und schon werden wir von nächsten aus der Schlange hinter uns zur Seite gedrängt. Warum wir kein Bier bekommen haben, wissen wir nicht...weil Montag ist? Wie der russische Tag des Nicht-Alkohol-Trinkens ist? Weil der Mann keine Konzession zum Bierverkaufen hat? Weil wir Ausländer sind? Oder weil einfach immer nur irgendetwas ist?

21.06.05

Heute haben wir einen Sightseeing-Tag in Moskau eingelegt. Mit der Metro in die Stadt und auf zum Lenin Mausoleum. Die lange Warteschlange haben wir durch anmieten einer privaten Führerin geschickt umgehen können, die Frau war Ihr Geld wirklich wert – nicht nur wegen der Umgehung der Schlange, auch wegen der detailreichen Hintergrundinformationen. Wir sehen die Gräber von Stalin, Breschnev und Andropov sowie das Urnengrab von Juri Gagarin, dem Weltraumpionier. Schließlich gelangen wir in das Lenin-Mausoleum. Ist schon beeindruckend, so „Auge in Auge“ mit DEM Lenin. Während wir an der Leiche vorbeigehen, ist es streng verboten zu sprechen, stehenzubleiben oder die Hände in die Hosentaschen zu stecken. Unsere Fremdenführerin erzählt uns, dass unter dem Grab eigens ein Labor eingerichtet ist, das sich mit der Konservierung des Leichnams beschäftigt. Abends wird der Glassarkophag in eben dieses Labor hinabgefahren. Irre!

Auf den Besuch bei Genossen Lenin folgte eine ausführliche Führung durch dem Kreml und seine Kathedralen, auch hier mit sehr viel Hintergrundinformation. Innerhalb des Kremls darf man sich übrigens nur auf den Zebrastreifen über die Straßen und Wege bewegen, wer woanders die Straße überquert, wird von den vielen Polizisten und Sicherheitsbeamten sofort zurückgepfiffen.

Zwischendurch ein Mittagessen bei McDoof, ein Stop im Internetcafe – wir hatten noch Restguthaben – und abends in unsere gemütliche Stammkneipe auf das obligatorische „Schaschlik“. Jochen bricht sich einen Zahn ab. Irgendwas ist ja immer...

22.06.05

Regen, Regen, Regen. Wir kaufen das nötigste für unsere Weiterfahrt in einem Supermarkt. Die Wassertanks von Engelchen füllen wir mit mehreren 5-Liter Kanistern, die wir über die Distanz von ca. 2km anschleppen.

Am späten Vormittag verlassen wir die Stadt Richtung Nordwesten. Natürlich ist die Abfahrt der Ringautobahn, die wir nehmen wollen, die Einzige, die gerade gesperrt ist. Wir machen also einen „kleinen“ Umweg von ca. 100km, geraten in einen Megastau, winken uns dabei mit diversen freundlichen Russen zu und finden endlich den Weg heraus aus dem Moloch. Jetzt wollen wir in Richtung der baltischen Staaten – mal sehn, ob da eine Fähre für uns und unser Engelchen fährt. Wir schaffen es wie immer auf irgendeinen bewachten Parkplatz, unterhalten uns noch eine Weile mit einem ebenfalls dort nächtigendem Russen und schlafen entspannt.

23.06.05

Der Grenzübergang nach Lettland gestaltet sich mal wieder sehr aufwendig. Wir müssen an diversen Buden und Zollposten halten, jeder will unser Auto durchwühlen. Da unsere Batterie mittlerweile gar nicht mehr lädt, fragt Jochen höflich, ob wir die Karre dabei laufen lassen können. „Klar – kein Problem“ sagen 27 der 28 Grenzpostenbudenbetreiber. Nur an der letzten Station – direkt vor dem Schlagbaum – es fehlt nur noch ein letzter, winzigkleiner Ausreisestempel sagt die Dicke Frau Feldwebel „Njet“. Jochen erklärt das Problem und die dicke Frau fängt an zu schreien: man sei hier schließlich an der Grenze, und hier habe sie das Sagen und wenn die Karre Schrott ist, dann sollen wir doch gefälligst zurückfahren in den nächsten Ort zum „Avtoremont“ und überhaupt, wenn wir nicht gleich den Motor ausmachen, werden wir erschossen. Jochen macht den Motor aus und wird sauer. Die dicke Frau Leutnant trägt kein Namensschild und Jochen verlangt Ihren Namen. Er hat zwar nicht verstanden, was die keifende Frau Ihm da an den Kopf brüllt aber er tut vorsichtshalber mal so, als würde er sich den notieren. Die Frau greift zum Telefon und bumms, taucht Ihr Chef auf. Was wir denn da wohl aufgeschrieben haben, will er wissen. „Den Namen der Gewitterzicke“, sagt Jochen. Aber es sei doch alles gar kein Problem, sagt der Mann, und wir müssten uns doch nicht unbedingt den Namen seiner Mitarbeiterin aufschreiben und überhaupt, hier wäre dann auch der Stempel und wir könnten jetzt ja auch fahren. Können wir eben nicht, sagt Jochen und baut seelenruhig unsere Bordbatterie aus, trägt sie nach vorne, startet umständlich die Karre und baut die Batterie danach ebenso umständlich wieder ein. Die Schlange hinter uns wird immer länger, die Gewitterzicke immer kleiner und schließlich verabschieden wir uns unter dem Winken des Grenzchefs von Russland.

Lettland ist wie Skandinavien. Alles ist sauber und aufgeräumt, die Straßen sind gut und die Landschaften superschön. Am Abend erreichen wir Riga, fahren zum Fähranleger und fragen uns durch. Leider fährt die nächste Fähre erst in 3 Tagen, also erstmal irgendwo Schlafen. Es gibt in Riga einen Camping-Platz mitten in der Stadt: „Riga City Camping“. Der Campingplatz in voll mit Deutschen Wohnmobilen – eigentlich übervoll aber weil wir keinen Strom brauchen dürfen wir uns einen Platz neben den eigentlichen Stellflächen suchen – und bekommen dafür auch noch eine Ermäßigung. Ist schon ein merkwürdiger Anblick – unsere verdreckte Schrottkarre neben diesen blitzsauberen Hightech-Hymermobilen.

23.07.05

Der Plan: wir versuchen es mal in Litauen. Da hier die Dimensionen wesentlich überschaubarer als in Russland oder Kasachstan sind, erreichen wir bereits am Nachmittag Kleipeda. Wir haben Glück – ein Schiff nach Kiel fährt bereits am Abend, und wir und unser Auto checken ein. Die Zeit an Bord lassen wir uns von einem gruseligen Alleinunterhalter mit einem Schifferklavier vertreiben und nach einer geruhsamen Nacht in einer der Innenkabinen kommen wir am nächsten Tag ausgeruht in Kiel an.